2. Das Amtsverständnis und die Aposto-lische Sukzession

 

„Zwischen den Konfessionen bzw. Konfessionsfamilien besteht darin Übereinstimung, dass das geistliche Amt für die Kirche notwendig ist, aber keinen Selbstzweck darstellt, sondern im Dienst der Verkündigung des Evangeliums sowie der Vergegenwärtigung des Auferstandenen in den Sakramenten, insbesondere im Sakrament der Eucharistie (Abendmahl), steht.“[1]

Die Differenzen im Amtsverständnis entspringen einem unterschiedlichen Kirchenverständnis. Während die reformatorischen Kirchen einen stärkeren Akzent auf die Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen Christus und den Gläubigen legen[2], versteht sich die katholische Kirche stärker als Mittlerin zwischen Christus und den Gläubigen. Dieses Mittlertum konkretisiert sich im ordinierten Amt. Hieraus ergibt sich, dass die reformatorischen Ämter primär funktional bestimmt sind und durch die Ordination keinerlei Verpflichtung zu personalem Gehorsam der Kirchenleitung gegenüber entsteht. „(...) die Ordinanden verpflichten sich, ihren Dienst in Treue gegenüber dem Auftrag Christi und im Vertrauen auf die Verheissungen Gottes zu übernehmen, die Verkündigung an der Heiligen Schrift als ‚norma normans’ und an den altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnissen (...) als ‚norma normata’ auszurichten und das Beichtgeheimnis zu wahren.“[3] So ist auch zu verstehen, dass es keine Hierarchie im katholischen Sinne gibt: „Ein ordinierter Pfarrer hat denselben theologischen Rang wie ein Superintendent oder ein Landesbischof bzw. Präses.“[4]

Nach diesen grundlegenden Ausführungen, soll, als eine der aktuellsten Publikationen zu diesem Thema und der damit verbundenen Problematik im ökumenischen Dialog, die Position von Jörg Zink[5] in seinem Buch „Die eine Kirche, wann endlich?“[6] dargestellt werden.

In einem ersten Schritt zeigt Zink, dass das geistliche Amt in seiner heutigen Trias von Bischof, Priester und Diakon als eine Entwicklung innerhalb der Kirchengeschichte anzusehen ist und nicht direkt aus den biblischen Zeugnissen hergeleitet werden kann. Ansatzhaft findet sich unsere heutige Struktur erstmals im 2. Jh. Davor finden sich lediglich Hinweise auf Gemeindeleiter, deren Amt keinen sakralen Charakter aufweist und deren Aufgabe die Gemeindegründung, -leitung und Verkündigung war. Das Amt wurde durch Handauflegung übertragen. Zink weist darauf hin, dass Jesus selbst sich gegen Autoritäten und das Herausheben von Personen ausgesprochen hat[7] und konstatiert: „Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit die Kirchen in ihrer Geschichte sich über diese doch kaum misszuverstehenden Weisungen Jesu hinweggesetzt haben.“[8] Jedoch versteht man in der katholischen Tradition „die Ämterordnung der altkirchlichen Konzilien ebenso als Führung des Heiligen Geistes wie die kirchliche Festlegung des Kanons der Heiligen Schriften, die das Neue Testament bilden. Schrift und Tradition sollten also bei der Frage, was ius divinum bei der Ämterordnung ist, nicht gegeneinander ausgespielt werde“[9].

Es muss erkannt werden, dass es erst im 4. Jh. feste Amtsstrukturen gab. Dies ist durch die Abhängigkeit und Gebundenheit der Kirche an den Staat bedingt.

Lutherischerseits stellt Zink dar, dass Luther keine andere Möglichkeit blieb, als die Leitung in die Hände der Fürsten zu geben, da sich die Bischöfe in Deutschland der Reformation verweigerten.

Er zeigt jedoch auf, dass lutherischerseits der geistliche Sinn des bischöflichen Amtes in unserer Zeit wiederentdeckt wird und in den Konsenstexten bereits Übereinstimmung darin erzielt wurde, dass „ein eigenes Amt, das das Wort verkündigt und die Sakramente verwaltet, notwendig sei. Auch darin, dass dieses Amt als von Gott eingesetzt gelten darf, dass es sich unterscheidet von dem, was man das allgemeine Priestertum der Gläubigen nennt (...) und auch hinsichtlich (...) der Ordination.“[10]

Nach Zink stellt das Amtsverständnis als solches kein Problem mehr da. Betrachtet man jedoch den Status des Amtes, so zeigt, sich, dass dem nicht so ist. In Bezug auf die Bedeutung der Handauflegung innerhalb der lutherischen Ordination lässt sich sagen: „Ihr Sinn ist nicht eine Geistmitteilung oder die Erteilung eines besonderen Amtscharismas im Sinne eines sakramental-ontologischen Status. Darum werden auch die Begriffe ‚Weihe’ (consecratio) und ‚character indelebilis’ (unauslöschliches Merkmal) vermieden.“[11]

Da sich in Mitteleuropa keine residierenden Bischöfe und Fürstbischöfe der Reformation anschlossen, sahen sich die Reformatoren genötigt, „ordinierte Amtsträger zu beauftragen, andere Christen nach theologischer Ausbildung mit Handauflegung und Gebet um den Heiligen Geist zum Amt der Wortverkündigung und Sakramentenspendung zu ordinieren“[12]. Dies war der äußere Grund für die Aufgabe der apostolischen Sukzession von Seiten der Reformatoren[13]. Der theologische liegt darin, dass man von reformatorischer Seite der formalen apostolischen Sukzession keinen Wert beimisst. Hierin besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen der katholischen und der reformatorischen Auffassung von Sukzession: Während die katholische Tradition die Zusammengehörigkeit von apostolischer Sukzession und apostolischer Tradition als konstitutiv, unabdingbar und unverzichtbar ansieht, ist für die reformatorische Tradition die Bewahrung der apostolischen Tradition, sprich des Evangeliums, das Entscheidende.

Zink stellt dies in seinen Ausführungen ebenfalls heraus, nämlich, dass von offizieller Seite der Unterschied im Verständnis der Sukzession darin besteht, dass sie für die katholische Kirche in einer ‚fugenlosen Reihe’, für die reformatorischen Kirchen im ‚wahrgenommenen Auftrag’ besteht. Der Autor weist daraufhin, dass der Nachweis dieser ‚fugenlosen Reihe’ katholischerseits äußerst schwierig sein dürfte, denn „für die entscheidende Zeit des 1. Jahrhunderts (...) und für einige Jahrzehnte danach gibt es keinen Nachweis, dass die Handauflegungen lückenlos und durch Bischöfe, denen selbst die Hand aufgelegt worden wäre, vollzogen worden seien“[14].

Auch die neutestamentlichen Berichte von Handauflegungen können nicht als ein sicherer Nachweis der sakramentalen Weitergabe eines Amtes angesehen werden, da es Zeugnisse gibt, in denen Gemeindemitglieder den Aposteln die Hände auflegen[15] um ihnen in diesem Zeichen der Geistmitteilung Kraft für die Reise zu spenden. Die Handauflegung „war vielmehr bestenfalls eine an die jüdische Tradition anknüpfende Beauftragung und Bevollmächtigung“[16]. Ergänzend hierzu bemerkt Reinhard Frieling: „Die Worte an Timotheus: ‚Lass nicht ausser acht die Gabe in dir, die dir gegeben ist durch Weissagung mit Handauflegung der Ältesten’ (1. Tim. 4,14) (sic!) müssen jedoch nicht einen besonderen ontologischen Status des Amtsträgers in der Kirche bedeuten, der zudem ein unerlässliches Kriterium für das wahre Sein der Kirche wäre.“[17]

Zink zeigt, dass eine katholische Anerkennung der lutherischen Ämter bei einer Revision der katholischen Definition von Sukzession unter stärkerer Berücksichtigung der Heiligen Schrift möglich wäre. Er gibt zu bedenken: „Es nützt nicht viel, fest im Sattel zu sitzen, wenn der Sattel nicht festsitzt.“[18]

Eine andere Form der Annäherung in der Frage der apostolischen Sukzession scheint unterdessen die nordamerikanische anglikanisch-lutherische Kirchengemeinschaft[19] aufzuzeigen. Sie wendet sich in den Dokumenten ‚Called to Full Communion’ und ‚Called to Common Mission’ einem Modell zu, das bereits im Dokument ‚Einheit vor uns’[20] vorgeschlagen wurde: „Über die gegenseitige Anerkennung der Kirchen und ihrer Ämter durch gemeinsame Bischofsordinationen zu einem gemeinsamen in der historischen Sukzession stehenden Bischofsamt zu gelangen.“[21] In seinem Artikel zeigt Georg Hintzen auf, inwiefern dies auch ein Weg für den katholisch-lutherischen Dialog sein könnte.

Zunächst einmal muss erkannt werden, dass dieser Vereinbarung ein funktionales Amtsverständnis zu Grunde liegt, wie es zu Beginn dieses Abschnitts als typisch für die reformatorische Tradition dargestellt wurde. Dies ist der anglikanischen Tradition möglich, da sie ein sehr weites theologisches Spektrum umfasst, von der anglokatholischen, die das historische Bischofsamt als ‚esse’ der Kirche ansieht, bis hin zur evangelikalen Auffassung, die es als ‚bene esse’ bezeichnet.[22] So kann „die Episkopalkirche einer Interpretation des Bischofsamtes zustimmen (...), die eher ‚reformatorisch’ als ‚katholisch’ ist“[23].

Desweiteren wird auch weiterhin die nordamerikanische lutherische Kirche das klassische dreigliedrige Amt nicht übernehmen und ist auch weiterhin nicht der Auffassung, dass das Bischofsamt „die allein verbindliche Form des kirchlichen Leitungsamtes sei“[24]. Dies entspricht der Lehre Martin Luthers, der schon 1520 in seiner Schrift ‚An den christlichen Adel deutscher Nation’ kritisiert hatte: „Nach Christi und der Apostel Festsetzung soll jede Stadt einen Pfarrer oder Bischof haben, wie Paulus klar schreibt Tit. 1 ... Denn ein Bischof oder Pfarrer ist ein und dasselbe bei St. Paul, wie das auch St. Hieronymus beweist. Aber von den Bischöfen, die es jetzt gibt, weiß die Schrift nichts (...).“[25] Sie geht diesen Schritt, da er für eine Kirchengemeinschaft unabdingbar mit der nordamerikanischen anglikanischen Kirche unabdingbar ist.

Über den Zeitpunkt der Herstellung einer vollen Kirchengemeinschaft gibt es auch weiterhin zwischen den beiden Traditionen Differenzen. „Nach lutherischer Auffassung ist die volle Kirchengemeinschaft bereits mit der gegenseitigen Anerkennung der Ämter erreicht. Nach anglikanischer Auffassung ist die volle Kirchengemeinschaft jedoch erst mit der Eingliederung aller lutherischen Bischöfe in die historische Bischofssukzession erreicht.“[26]

Dies ist vergleichbar mit der Situation im katholisch-lutherischen Dialog. Die lutherischen Kirchen erkennen schon heute das katholische Amt als das von Christus seiner Kirche eingestiftete Amt an. Hingegen fehlt dem lutherischen Amt nach katholischem Verständnis die Vollgestalt, die erst erreicht wird, „wenn alle lutherischen Geistlichen unter Beteiligung katholischer Bischöfe ordiniert sind. Entsprechend kann auch die volle Austauschbarkeit der Amtsträger aus katholischer Sicht erst am Ende dieses Prozesses stehen, während sie aus lutherischer Sicht bereits zu Beginn erfolgen könnte.“[27] Dies würde folglich bedeuten, dass auch die sakramentale Gemeinschaft aus katholischer Sicht erst am Ende dieses Prozesses stehen könnte.[28]

Es wird deutlich, „dass sich die nordamerikanischen Lutheraner mit der Aufnahme des historischen Bischofsamtes ‚um der Kirchengemeinschaft willen’ auf einen Weg einlassen, der aus ihrer Sicht um dieser Gemeinschaft willen nicht beschritten werden müsste. ‚Notwendig’ ist dieser Schritt nur aus anglikanischer Sicht“[29].

Hintzen kommt zu dem Schluss, dass die Vereinbarungen in Nordamerika sicher kein direktes Vorbild für den katholisch-lutherischen Dialog sein können, zumal sie sich mehr auf die formalen Fragen konzentrieren, wohingegen im katholisch-lutherischen Dialog insbesondere inhaltliche Fragen, wie die der Ekklesiologie und des einheitlichen, universalen und verbindlichen Lehramtes, zu klären sind. Und dennoch zeigt diese Einigung: „Ohne eine Kompromissbereitschaft, die bis an die Grenzen des jeweils dogmatisch Vertretbaren zu gehen bereit ist, ist Kirchengemeinschaft unter Kirchen verschiedener Tradition schwerlich zu erreichen“[30].

 

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3. Das Papstamt



[1] Euler, Walter Andreas, Ökumenische Theologie und Konfessionskunde, Skript zur Vorlesung WS 2002/03, Trier 2002.

[2] Vgl. die Vorstellung des „sola fide“.

[3] Frieling, Reinhard, Amt, 37f.

[4] Euler, Walter Andreas, Ökumenische Theologie und Konfessionskunde.

[5] Geboren 1922, evangelischer Theologe freier Schriftsteller, Bibelübersetzer, Fotograf und Filmemacher.

[6] Zink, Jörg, Die eine Kirche, wann endlich?, Freiburg i.Br., 2002.

[7] Vgl. Mt 23, 8-10.

[8] Zink, Jörg, Die eine Kirche, wann endlich?, 83.

[9] Frieling, Reinhard, Amt, 73.

[10] Ders., 87.

[11] Frieling, Reinhard, Amt, 38.

[12] Euler, Walter Andreas, Ökumenische Theologie und Konfessionskunde.

[13] In den skandinavischen Ländern ist dies unterschiedlich. In Schweden z.B. traten die Bischöfe der Reformation bei, so dass die lutherische Kirche in Schweden die historische episkopale Sukzession im mittelalterlichen Verständnis bewahrt hat. Dennoch werden die dortigen Bischofsweihen von der katholischen Kirche nicht anerkannt, begründet mit dem Fehlen der priesterlichen Intention, das Opfer Christi darzubringen.

[14] Ders., 88.

[15] Vgl. Apg 8, 13, 1-3.

[16] Zink, Jörg, Die eine Kirche, wann endlich?, 90.

[17] Frieling, Reinhard, Amt, 41.

[18] Zink, Jörg, Die eine Kirche, wann endlich?, 91.

[19] Vgl. zu den folgenden Ausführungen: Hintzen, Georg, Anglikanisch-lutherische Kirchengemeinschaft. Impuls für den katholisch-lutherischen Dialog?, in: Catholica, Münster 4/2002, 303-318.

[20] DwÜ II, 452-506.

[21] Hintzen, Georg, Anglikanisch-lutherische Kirchengemeinschaft, 303.

[22] Vgl. ders., 315.

[23] Ders., 316.

[24] Ders., 307.

[25] WA 6, 440, 21-35, zit. nach: Frieling, Reinhard, Amt, 47.

[26] Hintzen, Georg, Anglikanisch-lutherische Kirchengemeinschaft, 308f.

[27] Ders., 313.

[28] Vgl. ders., 314.

[29] Ders., 316f.

[30] Ders., 317.